Ansprache zur Ausstellung „Mythos Schöpfung“ von Menschen – und Kirchen, in der Galerie Kausch Kassel 1995 von Walter Raacke (Ausschnitte)
„Als ich Gabriele Just im Frühjahr 1994 im südthüringerischen Hildburghausen das erste Mal begegnete, da merkte ich schnell, dass diese Künstlerin eine engagierte und beherzte Frau ist, die ihren Mann zu stehen vermag und die sich mit den sich rasch veränderden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in der Zeit während und nach der „Wende“ im „ersten sozialistischen Arbeiter- und Bauernstaat auf deutschem Boden“ kritisch und couragiert auseinandersetzte.“…
„Gabriele Just steht mit ihren themenbestimmten Porträts in der Tradition von Malschulen des sozialkritischen Realismus. Realkritische Formen wollen rein aus der Erfassung der sichtbaren und physischen Wirklichkeit künstlerischen Gehalt schöpfen, sowohl impressive, als auch expressive Ausdrucksformen sind ebenso möglich wie altmeisterliche Malerei. Das künstlerische Lebenswerk von Otto Dix liefert den Beleg dafür, wie ein Künstler unter vielfach gewendeten Verhältnissen, im Kaiserreich, der Weimarer Republik, im Dritten Reich und in der Bundesrepublik Deutschland seine Inhalte und seine Maltechniken veränderte und dabei immer ein kritischer Realist in Inhalt und Form blieb, der sogar vom 5. Rad am Wagen, der DDR hochgeschätzt wurde.“
„Die Menschen, die Gabriele Just in den Jahren der Wende und des Neubeginns in der ihr eigenen Mischtechnik porträtierte, sind Menschen aus ihrem persönlichen Alltag, ihrem Freundeskreis und ihrer kleinen Stadt, die nicht nur eine Vergangenheit hat.
Da ist die „Schöne Eva“, Eberhard der Maler, und da sind viele Frauen, nachdenklich, anmutig, attraktiv und dennoch vom Leben geprägt: da sind Köpfe, Hände und Körperhaltungen, die all das sagen können, was sich viele Menschen beiderseits der Werra immer noch nicht sagen wollen, wenn sie hinter vorgehaltener Hand über die Brüder und Schwestern am anderen Ufer herziehen.
„Mein Vaterland, mein Vaterland
Hat eine Hand aus Feuer
Hat eine Hand aus Schnee
Und wenn wir uns umarmen
Dann tut das Herz uns weh.“
So sang vor gar nicht langer Zeit Wolf Biermann in seinem Wintermärchen.
Auch die Kirchen am Oberlauf der Werra entspringen der Alltagswahrnehmung der Künstlerin, die seit Jahren als Kirchenrestauratorin in eben jenen sakralen Räumen arbeitet, deren Architektur sie objektiv in ihre Raumkörperlichkeit und subjektiv in der Farbgebung der Aquarelle gleich ihren Menschenbildern porträtierte.
Widerspiegelt Gabriele Just in den Bildern von Menschen Leben in einem individuellen Lebensabschnitt zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt, so reflektiert sie in den Porträts der Kirchenbauten über die Kulturgeschichte und damit natürlich auch über den Stellenwert des Christentums in unserer Zeit in unserem Land.“…
„Schöpfung ist Realität, gezeugtes und empfangenes Leben in jeder unerschöpflichen und unergründlichen Variante der Natur. Schöpfung ist aber auch der kreative Geist des Menschen, der zum Bau von Pyramiden, Tempeln, Synagogen, Moscheen und Kirchen fähig ist.
Aber nur dann, wenn Denken und Handeln des Menschen nach einer höheren geistigen, einer beseelten Sinngebung strebt, kann Kultur erblühen.
Ich danke Gabriele Just für die Vermittlung dieser Einsicht.“